Artikel & Beiträge

Artikel-Reihe „Psychiatrie macht Geschichte“
im EPPENDORFER

 

Sechsmal im Jahr erscheint der EPPENDORFER – Zeitung für Psychiatrie und Soziales.
Seit 2022 veröffentlicht Rolf Brüggemann, der Leiter unseres MuSeele eine Artikel-Reihe in der Kategorie „Menschen & Geschichte(n)“. 

Thematisiert werden hier besondere Personen, Orte oder Objekte und deren Bedeutung für die Psychiatrie (-Geschichte).

Die bisher veröffentlichten Artikel finden Sie hier zum Nachlesen.
Mit freundlicher Genehmigung, Quelle: www.eppendorfer.de

06/2024

Epilepsie – Krankheit der tausend Namen

05/2024

Ein „Kerker“ voller „Narren“

04/2024

Amor & Psyche

03/2024

Psychiatrieskandal um einen König

02/2024

Orte des Unwesens der Nazis in Berlin

01/2024

Die Psychiatrie-Revolte

06/2023

Johann Caspar Lavater

05/2023

Jakob van Hoddis

04/2023 

Friedhofsruhe

03/2023

Die Rohrschachs

02/2023
Die Schädel des Franz Joseph Gall

01/2023
Hölderlin in Tübingen

06/2022
Zwiefalten

05/2022
GUGGING

04/2022
Ein Wahnsinns-Erfinder

03/2022
Sankt Petersburg und der Pawlowsche Hund

02/2022
Rettung für das letzte „Tobhaus“

Buchempfehlung

Es ist elf Uhr nachts und ich habe Runas Schweigen hinter mich gebracht. Es hat doch zwei Monate gedauert und die Corona Krise hat geholfen, ein für mich so dickes Buch zu Ende zu lesen. Ich bin beeindruckt von der Autorin Vera Buck, die außer vielen Fantasiekombinationen und super schönen sprachlichen Bildern wohl auch sehr intensiv in Fachbüchern recherchiert hat, die mich beruflich interessieren. Ich möchte ihr das Kompliment machen, dass sie ein tolles Buch geschrieben hat, welches die Ressentiments gegenüber der Psychiatrie plausibel macht. Wie würde sie wohl in 100 Jahren über die heutige Psychiatrie schreiben müssen. Auch der Trailer zum Buch auf Youtube ist spannend, man lernt Vera Buck kennen mit den Kulissen des Berner Psychiatriemuseums Waldau, welches mit dem MuSeele zusammenarbeitet.

Rolf Brüggemann

Link zum Buchtrailer:

https://www.youtube.com/watch?v=emZVZWnFgwk

„Paris, 1884. In die neurologische Abteilung des berühmten Hysterieforschers Dr. Charcot wird ein kleines Mädchen eingeliefert, das allen erprobten Behandlungsmethoden trotzt. Der schweizer Medizinstudent Jori wittert seine Chance, an den ersehnten Doktortitel zu kommen, und nimmt sich des kleinen Mädchens an. Was er nicht ahnt: Runa hat mysteriöse Botschaften in der ganzen Stadt hinterlassen, auf die auch andere längst aufmerksam geworden sind. Und sie kennt Joris dunkelstes Geheimnis.

Erschienen im September 2018 bei Blanvalet.

Die Hardcover-Ausgabe erschien 2015 unter dem Titel »Runa« bei Limes.

 

 

 

Gedenkstätte eingeweiht

Gedenkstätte des Christophbads für die Opfer der NS-Zeit erweitert

Göppingen. Die im Park des Klinikums Christophsbad bestehende Gedenkstätte wurde erweitert. Ein Stehpult aus Bronze mit einem aufliegenden Buch ergänzt nun das Ensemble, das seit 2002 an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Aus dem Christophsbad wurden damals 293 Patientinnen und Patienten zwangsverlegt. Ihre Schicksale sind im ausliegenden Buch mit Namen und kurzen biografischen Daten genannt, um ihnen Respekt zu zollen.

1940 und 1941 wurden circa 70 Tausend Patientinnen und Patienten aus Psychiatrie und Behinderteneinrichtungen ermordet. Beschönigend wurde von Gnadentod und Euthanasie gesprochen. Die Aktion wurde nach der Berliner Tiergartenstraße 4 kurz „Aktion T4“ genannt. Denn hier wurde das Dekret des „Führers“ von ihm unterzeichnet und die deutschlandweite Tötungsaktion gesteuert.

Die Gedenkstätte und die jetzige Erweiterung sind das Ergebnis langjähriger Recherchen, initiiert von der Gründerfamilie Landerer und mitgetragen von Mitarbeitern und Patienten des Klinikums. Die wissenschaftliche Recherche wurde durch Daniel Hildwein und Thomas Stoeckle, zwei Mitarbeitern der ehemaligen Tötungseinrichtung und heutigen Gedenkstätte Grafeneck, geleistet.

Eine Gedenkfeier konnte Corona-bedingt leider nicht stattfinden. Im kommenden Jahr wird eine ausführliche Dokumentation über die Vorgänge und Hintergründe der Geschehnisse in Buchform herausgegeben. Wenn möglich, wird dann das Buch und die Gedenkstätte in einem öffentlichen Rahmen gewürdigt.

Bettgeschichten der Psychiatrie

eine Ausstellung des MuSeele im Christophsbad ab 16. November 2020:

 
Wegen coronabedingtem Zutrittsverbot für das Klinikum ist die Ausstellung nur für Beschäftigte und Patientinnen und Patienten zu sehen.

Kopf- und Fußteile von alten (mehr als 70 Jahre) Holzbetten, die wahrscheinlich auf Privatstationen benutzt wurden.

Bettgeschichten von eins bis zehn:

Eins: Bettbehandlung

Seit den 1890er Jahren wird die Bettbehandlung propagiert. „Die Bettruhe ist das souveräne Mittel zur Bekämpfung der psychischen Erregungszustände! Die Bettbehandlung aller aufgeregten Geisteskranken verschafft der Irrenanstalt erst vollends den Wert und auch äußerlich das Ansehen eines Krankenhauses, das sie sein soll und will!“ (Neisser, 1927, S-232) Die Psychiatrie will es den allgemeinen Krankenhäusern gleichtun: „Ruhekuren für Nervöse“. Andererseits ist die Bettbehandlung kontraproduktiv, da sie Inaktivität, Isolierung, Regression und autistisches Verhalten fördert.

Zwei: Bettensaal

Noch vor gut 40 Jahren hatte das Christophsbad Bettensäle mit bis zu 20 Betten. In den getrennten Frauen- und Männerstationen herrschten strikte Disziplinierung und vorgeschriebene Ruhezeiten. Es fehlte eine Intimsphäre und auch ein wenig persönliches Ambiente. Dagegen bieten Zwei- und Dreibettzimmer überschaubare soziale Kontakte und fördern die Kommunikation. Die Entwicklung zum anspruchsvollen regelhaften Ein- oder Zweibettzimmer ist noch lange nicht abgeschlossen.

Drei: Schlafen

ist lebenswichtig. Körperliche und seelische Störungen sind häufig von schlechtem Schlaf begleitet. Da ein wesentlicher Teil unserer Lebenszeit vom Schlaf beansprucht wird, ist es wichtig hier sorgsam zu sein. Hilfreich können Hinweise der Schlafhygiene sein. Schlaftherapie als psychiatrische Behandlungsmaßnahme ist aus der Mode gekommen.  Schlafentzug wird gelegentlich angewendet bei bestimmten Formen der Depression. Zwei einfache Sprichwörter sind weise: Wie man sich bettet, so liegt man. Und: Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.

Vier: Träumen

ist eines der faszinierendsten Phänomene des Menschen. Siegmund Freud widmet sich in seiner Psychologie dem Traum als dem „Königsweg zur Seele“. Der bewussten Kontrolle entzogen können Trauminhalte auf bedeutende und problematische Aspekte unserer Lebensführung hinweisen. Der Begründer der Psychoanalyse sah darin eine wesentliche Grundannahme.                             Aber auch im allgemeineren Sinn bedeutet Träumen das Über-sich-hinweg-denken, das Zulassen von Utopien, das Schwelgen in Phantasien, also etwas zutiefst Menschliches.

Fünf: Enuresis nocturna und senile Bettflucht

Also nächtliches Einnässen im Kindesalter ab dem fünften Lebensjahr kann Symptom einer komplexen körperlichen oder seelischen Störung sein. Senile Bettflucht ist eine Scherzbezeichnung für das veränderte Schlafbedürfnis älterer Menschen. In beiden Fällen sind nicht körperliche Krankheiten, sondern vielmehr die psychosozialen Umstände im Vordergrund. Beides kann sehr heftig und störend sein und dann auch psychotherapeutische Hilfe erforderlich machen.

Sex: Bettgeschichten

Wirkliche „Bettgeschichten“ also Sexualität in der Psychiatrie ist ein Tabuthema. Als in den achtziger Jahren die Männer- und Frauenstationen zu gemischtgeschlechtlichen zusammengelegt wurden, befürchteten einige Mitarbeiter*innen „Sodom und Gomorra“. Die Situation hielt sich aber in Grenzen. Sexuelle und Liebes-Beziehungen unter Patienten*innen sind therapieabträglich und ein möglicher Nachwuchs ist eher unerwünscht. Übergriffiges Verhalten muss verhindert werden. Aber auch unterdrückte Triebe können zum Problem werden. Außerdem gibt es bestimmte Verhältnisse zwischen Therapeut*in und Patient*in, die nicht sein sollen, dürfen.

Sieben: Der Mond

Mondsüchtige Menschen stehen nachts schlafend auf, wandeln umher und verrichten zum Teil sogar Tätigkeiten. Das Schlafwandeln kann spontan auftreten oder ist provoziert durch äußere suggestive Einflussnahme. Die medizinische Wissenschaft ging einige Zeit von einem unheilvollen Mondeinfluss aus. Man sah im Mond zum Beispiel die Ursache für Epilepsie, Tollwut oder Wahnerkrankungen. Manche Menschen galten als besonders anfällig. Sie wurden als „Mondsüchtige“ bezeichnet. Im Englischen gibt es das Wort „lunatic“ in vielen Zusammenhängen mit der Bedeutung toll, irre, verrückt. Ein „lunatic asylum“ ist ein Irrenhaus. Seit der Mondlandung durch uns Menschen hat der Respekt vorm Mond etwas nachgelassen. Schlafwandeln in lateinisch heißt Somnambulismus.

Acht: Fixierung im Bett

Unruhige und aggressive, selbst- und fremdgefährdende Patienten wurden und werden immer wieder ihrer Bewegungsfreiheit beraubt und festgebunden, räumlich eingeengt, angekettet, fixiert. Dazu dienten Kisten, Stühle, Gummizellen, Netze und Anderes. Heute üblich ist die Fixierung im und am Bett mit Gurten, die Arme-, Beine- und Rumpfbewegungen einschränken. Der Patient oder die Patientin schaut an die meist kahle, weiße Decke und beruhigt sich vielleicht auch mit Hilfe einer Beruhigungsmedizin. Das Bett erhält so auch in diesem Zusammenhang die Konnotation der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins.

Neun: Nachtmahr

Ein Schreckgespenst, welches in einem Traum auftaucht (englisch: nightmare) oder auch ein Albtraum, der sehr unangenehm ist und Angst bereitet. Unsere Märchen und Mythen berichten häufig von solch merkwürdigen Gestalten und Begebenheiten. Es gibt auch Darstellungen in der Kunst und Musik. Dämonisches, Okkultes, Unheimliches, psychologisch Abgründiges: „Schwarze Romantik“.  Irgendwie gehört es wohl zu unserem kulturellen Erbe und ob sein Einfluss schaurig amüsant oder eher angsteinflößend ist, hängt entschieden von der jeweiligen Persönlichkeit ab.  Siehe auch Gothic Novel, Horror- und Schauergeschichten sowie das übergeordnete Genre der Phantastik.

Zehn: Schlaflabor

Mittels der Polysomnographie werden im Schlaflabor verschiedene Parameter wie EKG, Sauerstoffsättigung im Blut, Atmung und Hirnströme registriert und analysiert. So wird festgestellt, in welchem Ausmaß der Schlaf der Patienten von Gesunden abweicht und welche Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Diese reichen von einfachen Empfehlungen und Ratschlägen unter anderem zur Verbesserung der Schlafhygiene, über Absetzen oder Neuverordnung von Medikamenten bis hin zu nächtlichen Schlafmasken mit apparativer Luftzufuhr. Schnarchen, Schlafapnoe, Restless-Legs-Syndrom, REM-Schlafverhaltens-störungen, schlafbezogene Epilepsie, Einschlaf- und Durchschlafstörungen, so lauten einige der häufigsten Diagnosen der Schlafmedizin.  Das Schlaflabor im Klinikum Christophsbad existiert seit 2003.

NWZ-Bericht vom 17.7.2020: Kritik schafft Kultur​



Ist Kritik an der Psychiatrie vermessen oder legitim? Notwendig, würde der Psychologe Rolf Brüggemann und Leiter des Psychiatriemuseums „MuSeele“ im Klinikum Christophsbad behaupten. Und genau aus diesem Grund hat er seinen Kollegen folgendes Fachbuch empfohlen:
„Die Vermessung der Psychiatrie“ vom Autor und Psychiater Stefan Weinmann….

Covid-19 & History

Das Deutsche Medizinhistorische Museum in Ingoldstadt hat eine Beitragsreihe gestartet, bei der sich auch das MuSeele beteiligt!
„Jeden Tag ein Objekt! Unter dem Stichwort „Covid-19 & History” erzählen wir hier jeden Tag eine Objektgeschichte vom Umgang der Gesellschaft mit den Seuchen…“ mehr dazu unter: http://www.dmm-ingolstadt.de/covid-19-history.html

Syphilis-Aufklärungsplakat und Condomat
Seit mehr als 500 Jahren ist die Syphilis als Krankheitsbild bekannt. Im Endstadium der Syphilis kann auch das Gehirn betroffen sein, womit die sogenannte progressive Paralyse diagnostiziert wurde mit unterschiedlichen psychischen Auffälligkeiten, was viele der Erkrankten in die Psychiatrie brachte.
Über die Jahrhunderte begegnete man der Erkrankung sehr hilflos, was Quacksalbern und unseriösen Geschäftemachern durchaus entgegenkam. Die Betroffenen wurden zudem Opfer von Ausgrenzung und Diffamierung.
Die teilweise epidemische Verbreitung dieser sexuell übertragbaren Infektion (= STI) zeigte Anfang des 20sten Jahrhunderts erste Erfolge in der Behandlung durch das Medikament Salvarsan und durch Malariakuren, für die der Wiener Psychiater und Neurologe Julius Wagner-Jauregg 1927 den Nobelpreis erhielt. Die Infektion konnte endgültig erst in den 1940er Jahren beherrscht werden in Folge der Entdeckung der antibiotischen Behandlung durch den britischen Bakteriologen Alexander Fleming. Fleming erhielt hierfür 1945 den Nobelpreis.
Die wirksame medizinische Behandlung wird bis heute begleitet von meist staatlichen Aufklärungs- und Anzeigenkampagnen. Hier ein amerikanisches Plakat der vierziger Jahre aus der umfangreichen Sammlung der Wellcome Collection in London.
Die Ausstellung „Lustwandel“ im MuSeele 2013/14 zeigte die Zusammenhänge von STI und Psychiatrie auf. Seither präsentieren wir auf der Herrentoilette des Museums einige dieser Plakate sowie einen funktionsfähigen Condomaten. Dieser bietet Besuchern, Mitarbeitern und Patienten von Klinikum und MuSeele die Chance einer empfohlenen Vorbeugung von STI. Soziale Distanzierung, wie aktuell während der Covid-19 Pandemie, ist hoffentlich eben nur eine sehr vorübergehende Lösung.

Rolf Brüggemann umgeben von Plakaten von Psychiatriefilmen Foto: Ines Rudel/Ines Rudel

Hölderlin, Filmplakate und Struwwelpeter


2.2.2020 – Ein Beitrag über das MuSeele in den Stuttgarter Nachrichten

von Sabine Riker, Stuttgarter Nachrichten, Stuttgart, Germany

Göppingen: Hölderlin, Filmplakate und Struwwelpeter – Göppingen

Ohne die Unterstützung der vielen Vereinsmitglieder wäre das Psychiatriemuseum MuSeele nicht das, was es ist: Ein Ort, an dem es nicht nur um eine Auseinandersetzung mit der Psychiatrie geht, sondern um die Frage, was den Menschen ausmacht.

Göppingen – Ein ehrgeiziges Programm wollen die Macher des Psychiatriemuseums MuSeele im Göppinger Klinikum Christophsbad in den nächsten Monaten stemmen. „Manche Projekte haben wir uns ausgesucht, manche drängen sich auf, wie der 250. Geburtstag Hölderlins“, sagt Rolf Brüggemann, der Leiter der Einrichtung.


„Verortungen der Seele“
Beitrag in der Zeitschrift für Soziale Psychiatrie

Die deutschsprachigen Psychiatriemuseen präsentierten sich mit einer Ausstellung auf dem Kongress der DGPPN 2018. Der Beitrag stellt diese Einrichtungen und ihre Konzepte der musealen Darstellung der Psychiatriegeschichte vor.
In einem Artikel für die Zeitschrift für Soziale Psychiatrie berichtet Rolf Brüggemann über Psychiatriemuseen in der Schweiz, Österreich und Deutschland.
Den Artikel können Sie hier lesen oder downloaden.

NWZ-Bericht vom 27.2.2017 zur Ausstellung Maske & Alter Ego

Das Psychiatriemuseum „MuSeele“ im Göppinger Christophsbad beleuchtet in seiner aktuellen Ausstellung die Maske aus einem therapeutischen Blickwinkel.

Als Versteck, Schutz, zum Verängstigen, aus sich herauskommen oder um in andere Rollen zu schlüpfen: …

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